για την κατάργηση της μισθωτής εργασίας, του χρήματος και του κράτους ─ για τον κομμουνισμό

Gegen die leninistische Position zum Imperialismus

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Gefunden auf der Seite von Insurgent Notes, erschien auch als Artikel in deren letzten Ausgabe, Nummer 25, die den Schwerpunkt des Krieges in der Ukraine trägt. Der Artikel wurde von der griechischen Gruppe ‚Antithesi‘ geschrieben. Wir haben alle Zitate direkt aus den Ausgaben auf deutscher Sprache übernommen, wird also mit den Quellen, bezogen auf die Seitenangabe, die angegeben werden meistens nicht stimmen, was wahrscheinlich egal ist, weil es eh niemand überprüft.

Zu der Ausgabe von Insurgent Notes wollen wir sagen, dass auf dieser sowohl sehr gute Artikel erscheinen die gegen jegliche Positionierung, nicht zu verwechseln mit einer Art von Enthaltung, oder Neutralität, in den Kriegen des Kapitals sind, aber auch jene die sich für die Unterstützung der Demokratie (sic) in der Ukraine stark machen. Für uns als eine anarchistische Gruppe ist es eine falsche Dichotomie sich entweder hinter Russland noch hinter der Ukraine sich zu stellen, daher werden wir solche Haltungen immer angreifen. Es gilt wie immer den Staat-Nation und das Kapital anzugreifen und nicht eine Feuerpause mit einer dieser Fraktionen beizuschwören, wenn auch gesagt werden muss, dass der Staat-Nation dies eigentlich nie von Anarchistinnen und Anarchisten fordert, umso konterrevolutionärer ist es daher, wenn diese es freiwillig machen.

Der Artikel von Antithesi ist dennoch eine mehr als willkommende Analyse und Kritik der Theorie des Imperialismus von der Hand von Lenin. Denn, wenn gewollt oder nicht, bewusst oder nicht, es ist nach wie vor die gängigste Form den Imperialismus, sprich seine historische Aufgabe und Rolle, zu beschreiben. Und wenn zwei reaktionäre Positionen, die Pro-Russische und die Pro-Ukrainische, zumindest bei letzterer anhand von Anarchistinnen und Anarchisten, den Imperialismus gleichermaßen beschreiben, dann muss entweder eine Seite falsch liegen, oder gleichermaßen beide.

Wir sagten es schon in unseren Texten dass jeder Staat-Nation, als territorialer Verwalter des Kapitals, egal wie groß oder klein dieser auch sein mag, durch die inhärenten Zwänge des Kapitals, sich zu erweitern, durch Akkumulation wachsen, usw., darausfolgend ein imperialistischer Staat-Nation sein muss. Es gibt also daher auf der Welt keine kleinen Staaten-Nationen die zu schützen sind, denn alle, ohne Ausnahme, unterliegen diesen Zwang. Für diese Aussage, die der von Lenin komplett konträr ist, wurden wir ironischerweiße schon als Leninisten bezeichnet, nun sei es so. Wir werden es so oft wiederholen müssen wie es notwendig ist, in diesen Konflikt werden die ausgebeuteten Massen für die Interessen der herrschenden Klasse der Länder in denen sie leben müssen massakriert. Es gibt daher keine Option zu diesem Schlachthaus außer der sozialen Revolution die alle Staaten, alle Nationen und den Kapitalismus zerstören müssen.

Soligruppe für Gefangene


Gegen die leninistische Position zum Imperialismus | erschien auf Insurgent Notes von Antithesi

Von Antithesi

Unser ursprüngliches Ziel vor der Veröffentlichung des Textes über den Krieg in der Ukraine „War and Crisis“ in englischer Sprache war es, zusammen mit anderen Genossen einen größeren, umfassenden Artikel zu verfassen, der neben dem Text über die gegenwärtige Situation auch eine Kritik des Imperialismus und des Antiimperialismus auf der Grundlage eines bestimmten Verständnisses von Kapital, Staat und Weltmarkt enthalten sollte. Ein Verständnis des Kapitals als soziales Produktionsverhältnis, des Staates als politische Form der Herrschaft des Kapitals und des Weltmarktes als Unterscheidungsmerkmal und wesentliches Element des Kapitalismus und als notwendige Bedingung für die Existenz von Nationen-Staaten. Außerdem sollte der Artikel eine Polemik gegen den linken Nationalismus und die verschiedenen Formen der Kriegstreiberei und der „Union Sacrée“ zwischen den Klassen sowie eine Verteidigung des revolutionären Defätismus enthalten. Leider war es aufgrund der Umstände nicht möglich, diesen Artikel als einen einzigen Essay fertigzustellen, und seine Teile werden als unabhängige Texte veröffentlicht.

Antithesi & Freunde

 

Der Konzept des Imperialismus wurde im zwanzigsten Jahrhundert verwendet, um zwei Hauptphänomene zu beschreiben: zum einen die militärische Aggression kapitalistischer Staaten (imperialistische Kriege, militärische Besatzung und territoriale Eroberung) und zum anderen die globale Expansion der kapitalistischen Produktionsweise in all ihren ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Aspekten.

Da Marx den globalen Charakter und die Expansion des Kapitalismus als inhärente Aspekte des Kapitalismus betrachtete, brauchte er kein spezifisches Konzept, um diese Phänomene zu bezeichnen. Und obwohl er die Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung des Kolonialismus vehement angriff, war er auch der Meinung, dass der Prozess der kapitalistischen Modernisierung die Voraussetzungen für eine historische Situation schafft, in der die Menschheit eine emanzipierte Gesellschaftsform schaffen kann (obwohl er nicht der Meinung war, dass jede vorkapitalistische Gesellschaftsform auf dem Weg zur Emanzipation den Prozess der kapitalistischen „primitiven Akkumulation“ durchlaufen muss).

Aus diesem Grund hat der Begriff des Imperialismus (oder alternativ der Begriff des Imperiums) bei Marx eine ganz andere Bedeutung als im zwanzigsten Jahrhundert: er wird als Synonym für Bonapartismus oder Cäsarismus verwendet, d.h. für ein autoritäres politisches Regime, das die Interessen der Bourgeoisie im Allgemeinen vertritt. Der Begriff Imperialismus wird bei Marx deshalb verwendet, weil er sich direkt auf das Regime des Römischen Reiches (imperium) bezieht, in dem die Macht in der Person des Kaisers konzentriert ist, der sich gegen die kriegerischen Fraktionen der Patrizier durchsetzt. Im Marx’schen Konzept des Imperialismus oder Bonapartismus wird die Macht des Parlaments und ganz allgemein der liberalen Institutionen der demokratischen Repräsentation durch die Exekutive ersetzt, die Verwaltung des Staates wird vom Diktat der einzelnen Fraktionen der Bourgeoisie unabhängig gemacht, während der Anführer, in dessen Person die Staatsmacht konzentriert ist, versucht, die „unteren Klassen“ durch Wohltaten und demagogische Parolen für sich zu gewinnen, die natürlich die kapitalistische Ausbeutung der Arbeit nicht im Geringsten berühren (ein Phänomen, das in der modernen Terminologie als „Populismus“ bezeichnet wird). Auf diese Weise erscheint der Staat als eine neutrale Institution, die über die Gesellschaft erhoben wird. Wie Marx in einer seiner Schriften über die Pariser Kommune schreibt, ist der Imperialismus die höchste Form der bourgeoisen Staatsmacht: wenn der Staat ursprünglich von der Bourgeoisie für ihre Emanzipation vom Feudalismus eingesetzt wurde, nimmt der Staat in der voll entwickelten bourgeoisen Gesellschaft durch den Imperialismus/Bonapartismus den Charakter der nationalen Macht des gesellschaftlichen Gesamtkapitals über die Arbeit an, da er über die Interessen des einen oder anderen Teils der Bourgeoisie erhoben wird.

Im zwanzigsten Jahrhundert bekommt der Begriff „Imperialismus“ jedoch eine ganz andere Bedeutung. Das Hauptmerkmal dieses neuen Konzepts wurde erstmals von dem englischen liberal-sozialistischen Ökonomiewissenschaftler John Hobson in seinem 1902 erschienenen Hauptwerk Der Imperialismus formuliert. Obwohl er kein Marxist war, kritisierte John Hobson das Say’sche Gesetz, wonach „das Angebot seine eigene Nachfrage schafft“, scharf und wurde für seine Unterkonsumptionstheorie zur Erklärung der Weltwirtschaftskrise im späten neunzehnten Jahrhundert bekannt. Seiner Theorie zufolge war die Unterkonsumtion auf die große Ungleichheit der Einkommensverteilung zurückzuführen. Das begrenzte Einkommen der Vielen geht mit den übermäßigen Ersparnissen der wenigen Wohlhabenden einher, die stagnieren, da es schwierig wird, im Inland mit ausreichender Rentabilität zu investieren. Laut Hobson ist dies die treibende Kraft des Imperialismus, der in diesem Fall als die Suche nach neuen Märkten und Investitionsmöglichkeiten durch koloniale Expansion definiert wird, um überschüssiges Kapital (A.d.Ü., überschüssig im Sinne des Mehrwerts) zu exportieren und so die Krise zu lösen, die durch den zu geringen Konsum im eigenen Land entsteht. Hobson betrachtete den Imperialismus als ein unnötiges und unmoralisches Element des Kapitalismus, von dem er sich befreien könnte. Er schlug insbesondere die Beseitigung des überschüssigen Kapitals durch die Umverteilung von Einkommen und die Verstaatlichung von Monopolen vor, d.h. durch die Reform des Kapitalismus, ohne dass dessen revolutionärer Umsturz erforderlich ist.1

Neben dem liberalen Sozialisten Hobson gaben eine Reihe von Marxisten wie Parvus, Kautsky, Hilferding, Rosa Luxemburg und Lenin dem Begriff des Imperialismus eine ähnliche Bedeutung, ohne dass sie alle direkt von Hobson beeinflusst waren (z. B. Parvus und Luxemburg). Der gemeinsame Inhalt, den sie alle dem Imperialismus zuschrieben, war der Versuch, einen Ausweg aus der Reproduktionskrise des Kapitals zu finden, indem sie auf neue Märkte für den Export von Waren und Kapital expandierten – unabhängig davon, wie sie die Krise jeweils interpretierten (Krise der Unterkonsumtion im Fall von Luxemburg, Krise der Überproduktion im Fall von Parvus, Unverhältnismäßigkeit zwischen den Sektoren der kapitalistischen Produktion im Fall von Hilferding und Lenin und so weiter).

Das wichtigste und einflussreichste theoretische Werk, auf das sich mehr oder weniger alle oben genannten Marxisten stützten, war Rudolf Hilferdings Buch Das Finanzkapital, das erstmals 1910 veröffentlicht wurde. In diesem Werk führt Hilferding, beeinflusst von Parvus und Hobson, das Konzept des Finanzkapitals als letzte „Stufe“ oder „Phase“, wie er es nennt, des Kapitalismus ein. Er schreibt:

Das Finanzkapital bedeutet die Vereinheitlichung des Kapitals. Die früher getrennten Sphären des industriellen, kommerziellen und Bankkapitals sind jetzt unter die gemeinsame Leitung der hohen Finanz gestellt, zu der die Herren der Industrie und der Banken in inniger Personalunion vereint sind. Diese Vereinigung selbst hat zur Grundlage die Aufhebung der freien Konkurrenz des Einzelkapitalisten durch die großen monopolistischen Vereinigungen. Damit ändert sich naturgemäß auch das Verhältnis der Kapitalistenklasse zur Staatsmacht.[…] Die Politik des Finanzkapitals verfolgt somit drei Ziele: erstens Herstellung eines möglichst großen Wirtschaftsgebietes, das zweitens durch Schutzzollmauem gegen die ausländische Konkurrenz abgeschlossen und damit drittens zum Exploitationsgebiet der nationalen monopolistischen Vereinigungen wird.2

Das Finanzkapital ist die Endstufe des Kapitalismus, und auf dieser Endstufe weist der Kapitalismus laut Hilferding folgende Merkmale auf

– die Bildung von Trusts, Kartellen und allgemein monopolistischen Unternehmen (die die kapitalistische Konkurrenz abschaffen),

– die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital zum Finanzkapital,

– die Abschaffung des Freihandels und seine Ersetzung durch Protektionismus zugunsten einheimischer Monopole

– die Unterordnung des Staates unter die Monopole und das Finanzkapital,

und die Entwicklung einer expansionistischen Politik der kolonialen Annexion und des Krieges, bei der die Staaten die Bewegung „ihres“ Kapitals unterstützen. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Kapitalien wird in eine geopolitische Rivalität zwischen den Nationalstaaten umgewandelt, die sich nach der Macht der einzelnen Staaten richtet.3

Hilferding hat diese kapitalistische Phase später als „organisierten Kapitalismus“ bezeichnet. Es besteht eine Affinität zu Marx‘ Begriff des Imperialismus/Bonapartismus in dem Sinne, dass, wie Hilferding hervorhebt:

Ökonomische Macht bedeutet auch politische Macht. Die Beherrschung der Ökonomie führt zur Kontrolle über die Instrumente der Staatsmacht. Je größer der Konzentrationsgrad in der ökonomischen Sphäre ist, desto uneingeschränkter ist die Kontrolle des Staates. Die rigorose Konzentration aller Instrumente der Staatsmacht nimmt die Form eines extremen Einsatzes der Staatsmacht an, die zum unbesiegbaren Instrument zur Aufrechterhaltung der ökonomischen Herrschaft wird.4

Doch das ist eindeutig ein kolossaler Irrtum: die Tatsache, dass der Staat den Charakter der nationalen Macht des sozialen Gesamtkapitals über die Arbeit annimmt und sich über die Interessen der einzelnen Teile der Bourgeoisie erhebt, ist keineswegs zwangsläufig identisch mit der Abschaffung der Konkurrenz und der vollständigen Verschmelzung von Staat und Monopolen, noch mit der Konzentration der Macht in den Händen der sogenannten „kapitalistischen Oligarchen“ (deren Diktatur somit durch die Diktatur der Parteiführer über das Proletariat ersetzt werden kann).

Im Wesentlichen übernimmt Lenin diese Position Hilferdings in seinem Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus vollständig und entwickelt sie weiter. Kurz gesagt lautet seine Definition wie folgt:

Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.5

Lenin zufolge ist der Imperialismus ein verfallender Kapitalismus, da jedes Monopol unter den Bedingungen des Privateigentums an den Produktionsmitteln zum Verfall neigt. Außerdem ist der Imperialismus bereits ein sterbender Kapitalismus, weil die Monopolisierung aufgrund der Zentralisierung eine Nekrose der Konkurrenz und damit keine weitere Entwicklung der Produktivkräfte bedeutet. Die Produktion wird in einem solchen Ausmaß vergesellschaftet, dass sie dem Privateigentum an den Produktionsmitteln widerspricht. Laut Lenin ist damit der Weg zur Revolution frei. Die Revolution entsteht jedoch nicht automatisch, sondern erfordert die bewusste, organisierte revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse, natürlich unter der Führung der Partei.

Lenin argumentierte, dass der Imperialismus notwendigerweise das Endstadium des Kapitalismus ist und dass dieses Stadium bereits seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Gange war. Doch anscheinend hat er sich gewaltig geirrt, denn ein Jahrhundert später gibt es zwar immer noch globale Monopole, aber das hat die Reproduktion einer unendlichen Zahl kleinerer Kapitale nicht verhindert, die jeden Tag Millionen von Proletariern ausbeuten. Abgesehen davon, dass die leninistische Imperialismustheorie eine Vorstellung von Revolution als Übertragung der Kontrolle über die monopolistische Produktion aus den Händen der Kapitalisten in die Hände der Parteiführer verankerte, bildete sie auch die ideologische Grundlage für die Legitimation der Unterstützung linker Parteien für kleine und mittlere Kapitalien gegen Monopole und Banken, eine langjährige Position sowohl der Kommunistischen Partei Griechenlands als auch der breiteren griechischen und internationalen Linken, die natürlich keineswegs gegen das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis und gegen Lohnarbeit ist.

Außerdem argumentierte Lenin, dass der Kapitalismus auf der Stufe des Imperialismus parasitär wird, da

die Ausbeutung der unterdrückten Nationen, die untrennbar mit Annexionen verbunden ist, und insbesondere die Ausbeutung der Kolonien durch ein Häuflein von „Groß“mächten die „zivilisierte“ Welt immer mehr in einen Schmarotzer am Körper der nichtzivilisierten Völker, die viele hundert Millionen Menschen zählen. Der römische Proletarier lebte auf Kosten der Gesellschaft. Die heutige Gesellschaft lebt auf Kosten des modernen Proletariers.6

Das unmittelbare Ziel in der imperialistischen Phase ist also die Ausbeutung der schwachen Länder. Dies wird durch imperialistische Eroberungen verwirklicht, die eine ungleiche internationale ökonomische Realität schaffen, in der die imperialistischen Staaten eine dominante Position und die den Imperialisten untergeordneten Staaten und Menschen eine untergeordnete Position einnehmen.

Die Hauptannahme der leninistischen Imperialismustheorie ist daher, dass die Unterentwicklung und das Leiden der Menschen in der Peripherie durch die Abhängigkeit der Länder in der Peripherie von den Ländern in der Metropole verursacht wird. Dies wird durch die „Ausplünderung“ der Peripherie und durch die „Operation“ des ausländischen Kapitals, das das einheimische Kapital beherrscht, erreicht.

Abgesehen davon, dass die „Parasitismus“-These eindeutig konterrevolutionär ist, da sie die Proletarier der entwickelten kapitalistischen Länder als Ausbeuter der Proletarier der weniger entwickelten kapitalistischen Länder darstellt, ist sie auch falsch. Aufgrund der hohen Produktivität der Arbeit in den entwickelten kapitalistischen Ländern ist der Grad der Ausbeutung der Arbeiter in diesen Ländern viel höher als der der Arbeiter in den weniger entwickelten kapitalistischen Ländern. Außerdem führt eine solche Position zum Schmarotzertum zur Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen, d.h. zur Stärkung des Nationalismus und letztlich zur Unterstützung der Errichtung und Entwicklung kapitalistischer Verhältnisse in den „unterentwickelten“ Ländern.

Ein Ereignis von entscheidender Bedeutung für die Verbreitung der antiimperialistischen Politik und den Verlauf der nationalen Befreiungs- und antikolonialen Bewegungen war der 6. Kongress der Komintern im Jahr 1928, der die Position vertrat, dass der Imperialismus ein Hindernis für die industrielle Entwicklung der Kolonien sei. Bis dahin hatten viele Kommunisten an der älteren, marxistischen Position festgehalten, die davon ausging, dass der Kolonialismus auf lange Sicht zur Industrialisierung führen würde, die wiederum als notwendige Voraussetzung für die allgemeine menschliche Emanzipation angesehen wurde. Die Position der Komintern spiegelt einen zentralen Widerspruch der marxistischen Theorie und Dialektik wider, nämlich die Dialektik zwischen Kapitalismus (und seiner wichtigsten zeitgenössischen politischen Form, dem Nation-Staat) und Emanzipation. Einerseits wurde die marxistische Auffassung von der Fortschrittlichkeit des Kapitalismus nachdrücklich bekräftigt, indem die intensive und schnelle Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise unter dem Pseudonym „Sozialismus“ gefördert wurde, während andererseits die globale Expansion des Kapitalismus unter dem Namen „Imperialismus“ dafür verantwortlich gemacht wurde, dass der Modernisierungsprozess in den Kolonien, der schließlich zur allgemeinen menschlichen Emanzipation führen sollte, verzögert und blockiert wurde. Durch einen Bruch mit dieser Dialektik wird die gute Seite des Kapitalismus, die Entwicklung und damit die Möglichkeit der Emanzipation mit sich bringt – und die von einem sozialistischen, d.h. staatskapitalistischen Regime durchgeführt wird, das irgendwann kommunistisch wird – von seiner bösen, zerstörerischen und ausbeuterischen Seite getrennt, die bekämpft werden muss und die den Namen „Imperialismus“ erhält. Letzterer (der sich ungleich entwickelnde Kapitalismus) muss von den nationalen Befreiungsbewegungen bekämpft werden, die im Laufe des Prozesses moderne Nation-Staaten gründen werden und die die natürliche Umgebung für die Entwicklung des Kapitalismus in seiner fortschrittlichen Form sind. Diese Auffassung spiegelt die Marxsche Dialektik zwischen Kapitalismus und Fortschritt sowohl wider als auch missdeutet sie und beraubt sie ihres dialektischen Charakters: die Position von Marx, dass die Arbeiterbewegung den sich gegenwärtig entwickelnden widersprüchlichen historischen Prozess der kapitalistischen Entwicklung ausnutzen muss, ist weit entfernt von der bolschewistischen Position, dass dieser Prozess der kapitalistischen Entwicklung von der proletarischen Bewegung durch die politische Revolution und die Diktatur der Partei organisiert und gefördert werden muss.7

Nach den so genannten „marxistisch-leninistischen“ Theorien des Imperialismus und des staatsmonopolistischen Kapitalismus verschmelzen die großen Monopolunternehmen mit dem Staat, was zur Bildung einer „einzigen, landesweiten kapitalistischen Ökonomie“ führt. Da die monopolistische Produktionsform den Zwang für die einzelnen Kapitalisten aufhebt, ihren Profit durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit zu steigern, kann es den Staatsmonopolen auf dem Weltmarkt nur noch um den Kampf um politisch gesicherte Produktionssphären und um die Realisierung monopolistischer Überschüsse gehen. Die Stagnation der monopolistischen Phase des Kapitalismus erzwingt eine Art Antagonismus auf dem Weltmarkt, der die Form eines Krieges annimmt und dessen Inhalt die „Aufteilung der Welt unter den Großmächten“ ist8.

Der Staat, jeder Staat, egal wie klein oder groß, hat jedoch als strukturelles Merkmal die Tendenz, sich räumlich und/oder ökonomisch auszudehnen. Dies ist die grundlegende Komponente des Nationalismus, die seit Beginn der Ära der Nation-Staaten zu finden ist und keine besondere Eigenschaft des Staates in der Phase des Imperialismus ist, wie es unterstellt wird. Außerdem musste der Kapitalismus kein „besonderes“, „fortgeschrittenes“ oder „ultimatives“ Stadium erreichen, um mit der „Aufteilung der Welt“ zu beginnen – und hier beziehen wir uns auf innerstaatliche Rivalitäten und nicht auf eine angebliche Verschwörung zur Aufhebung der kapitalistischen Konkurrenz. Im Gegenteil, der Kampf um die „Aufteilung der Welt“ hat nichts spezifisch Kapitalistisches an sich; er war der Inhalt des Konflikts der Königreiche und Imperien vor dem Aufstieg des Kapitalismus und setzte sich auch während seines Aufstiegs fort, sogar während der so genannten „Freihandels“-Periode, die der so genannten „imperialistischen Phase“ vorausging, als das britische Empire die Vorherrschaft innehatte.

Die vollständige oder teilweise Übernahme leninistischer Positionen zum Imperialismus führt zwangsläufig zu problematischen und irreführenden Auffassungen:

1. Eine der treibenden Kräfte der kapitalistischen Produktionsweise ist der Wettbewerb zwischen den Kapitalisten in ihrem Streben nach maximalem Profit (die andere ist der Klassenkampf). Monopole existieren, und für Marx entstehen sie sowohl „natürlich“ innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise, insofern der Prozess der erweiterten Reproduktion des Kapitals ein Prozess der Konzentration und Zentralisierung des Kapitals ist, als auch „künstlich“, z. B. im Fall des Eigentums an Ressourcen, die dadurch monopolisiert werden (und die von technologischen Patenten bis zum Eigentum an ertragreichen Landparzellen reichen können). Für Marx bedeutet dies jedoch keineswegs die Abschaffung des Wettbewerbs und damit auch des „Wertgesetzes“. Die Angleichung der Profitrate zwischen den Unternehmen ist nicht als Herstellung eines stabilen Gleichgewichts zu verstehen, bei dem alle Unternehmen die gleiche Profitrate erzielen, sondern als eine Situation ständiger Kapitalbewegung, bei der sowohl innerhalb derselben Branche als auch zwischen verschiedenen Branchen unterschiedliche Profitraten erzielt werden, wobei die durchschnittliche Profitrate lediglich ein „Gravitationszentrum“ ist, um das sich die verschiedenen Raten bewegen.9 Indem er im dritten Band des Kapitals zeigt, dass die Praktiken der Preisfestsetzung (ebenso wie die variablen Überkapazitäten) mit dem Wertgesetz vereinbar sind, weist Marx darauf hin, dass im kapitalistischen System die Arbeitsproduktivität und die Ausbeutungsrate den Prozess der Kapitalakkumulation letztlich regeln. Das Monopol kann nur als eine besondere Erscheinungsform der Konkurrenz verstanden werden. Es kann sich der Konkurrenz nicht entziehen, weil die Ziele jedes Kapitals – die Erzielung eines möglichst hohen Profits – mit den Zielen jedes anderen Kapitals in Konflikt stehen, weil die Masse des Mehrwerts des Gesamtkapitals quantitativ begrenzt ist, ebenso wie die Grundlagen der Mehrwertproduktion in Form von Gebrauchswert (Masse der Arbeitskraft, Dauer des Arbeitstags, Intensität der Arbeit, Produktivkraft der Arbeit) begrenzt sind. Monopolgewinne können nicht absolut sein. Sie können auch nicht dauerhaft sein, da dies bedeuten würde, dass der Wettbewerb des Kapitals um höhere Renditen (Kapitalbewegungen zwischen verschiedenen Sektoren aufgrund von Unterschieden in den Profitraten) ausgeschaltet würde.

Im Gegenteil, Hilferding und Lenin, die Monopole als Aufhebung des Wettbewerbs betrachteten, übernehmen sogar das vulgärökonomische Konzept der „vollkommenen Konkurrenz“, dem der „Monopolmarkt“ entgegengesetzt wird.

2. Da das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis ist, ist die Vorstellung seines „Exports“ von den starken in die schwachen Länder eine gewaltige Verzerrung, die zu Ideologien über „Imperien“, „transnationale Machtzentren“ usw. führt, die den Klassengegner verdunkeln und mystifizieren und letztlich die Entfaltung des Klassenkampfes des Proletariats gegen die vor allem inländischen kapitalistischen Bosse verhindern. Da die einzelnen Kapitalisten, die Grenzen überschreiten, ihre Nationalität beibehalten, wird ihr Wettbewerb mit den einheimischen Kapitalisten durch den Klassenkampf ersetzt oder sogar mit diesem gleichgesetzt, der so paradoxerweise in einen Kampf zwischen Nationen verwandelt wird, der von nationalen Subjekten zwischen den Klassen geführt wird. Es entsteht der Irrglaube, dass die Arbeiterklasse und die Bourgeoisie eines Landes gemeinsam ihre Pendants in anderen Ländern ausbeuten. Michael Heinrich schreibt zu diesem Thema Folgendes „[D]ie Charakterisierung des Imperialismus als ‚parasitär‘ ist nicht nur wegen des moralischen Untertons problematisch, sondern auch, weil nicht ohne weiteres ersichtlich ist, warum die Ausbeutung einer ausländischen Arbeiterklasse schlimmer sein sollte als die Ausbeutung der einheimischen Arbeiterklasse. Was Lenin als Fortführung der Marx’schen Analyse beabsichtigte, hat letztlich fast nichts mit der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie zu tun. „10

Die Dependenztheorie

Eine Weiterentwicklung der Imperialismustheorie von Hilferding und Lenin war die so genannte „Dependenztheorie“, die in den 1960er und 1970er Jahren von einer Reihe von Theoretikern wie Samir Amin und Andre Gunder Frank formuliert wurde. Diese Theorie führte das Konzept ein, die Ökonomie der Welt je nach dem Stand der kapitalistischen Entwicklung in drei Zonen zu unterteilen: Zentrum, Halbperipherie, Peripherie.

Nach der Dependenztheorie wird der Mehrwert von den Ländern der Peripherie in die Länder des Zentrums transferiert. Die Länder der Peripherie werden in einem permanenten Zustand der Unterentwicklung gehalten, um die Interessen des Monopolkapitals aus den Ländern des Zentrums zu bedienen. Dies ermöglicht es dem ausländischen Monopolkapital, die Peripherie ohne Konkurrenz durch das einheimische Kapital auszubeuten.

Auf diese Weise wird das (nicht-marxistische) Konzept der Ausbeutung der Länder in der Peripherie durch die Länder im Zentrum eingeführt. Die Dependenztheorie führt nicht nur zu einer neuen Kategorisierung der Staaten, sondern auch zu einer neuen Kategorisierung der sozialen Klassen in jedem Land.

So werden sowohl die Arbeiterklasse als auch die Bourgeoisie des Zentrums von der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie der Peripherie unterschieden. Nach der Dependenztheorie kann sich die Arbeiterklasse der Peripherie mit der entsprechenden Bourgeoisie in einer gemeinsamen antiimperialistischen Front verbünden, genauso wie sich die Arbeiterklasse des Zentrums mit der entsprechenden Bourgeoisie zugunsten der imperialistischen Politik des Staates verbünden kann, dem sie angehört.

Der Fehler der Dependenztheorie ist, dass sie eine instrumentalistische Theorie des Staates impliziert. Der Staat wird als eine von den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen unabhängige politische Einheit dargestellt, die entweder vom Monopolkapital genutzt werden kann, um seinen Partikularinteressen zu dienen, oder von einem Klassenbündnis aus Arbeitern und Kapitalisten in den Ländern der Peripherie, das die Entwicklungspolitik vorantreibt und damit den Sozialismus näher bringt. Abgesehen von einer instrumentalistischen Theorie des Staates impliziert die Dependenztheorie also die Annahme der Stufentheorie zum Kommunismus. Unserer Ansicht nach ist der Staat die politische Form der kapitalistischen sozialen Beziehungen: ein kapitalistischer Staat. In diesem Sinne dient jeder Staat der Reproduktion der kapitalistischen sozialen Beziehungen in ihrer Gesamtheit. Das bedeutet natürlich nicht, dass jede Nation-Staat der Reproduktion des globalen Kapitals im Allgemeinen dient. Staaten stehen in Konkurrenz (aber auch in Kooperation) zueinander, um globales Kapital innerhalb ihrer nationalen Grenzen anzuziehen und so ihren Anteil am globalen Mehrwert zu erhalten und auszubauen. Dabei geht es sowohl um die Schaffung der Bedingungen für die erweiterte Reproduktion des Kapitals innerhalb der Staatsgrenzen als auch um die Stärkung der auf der Ausbeutung der Arbeit basierenden Akkumulation innerhalb der Grenzen anderer Nationen-Staaten. Natürlich haben nicht alle Staaten die gleichen Wahlmöglichkeiten, was die Akkumulationsstrategien angeht, die sie anwenden können.

Historische Gründe und der Erfolg oder Misserfolg der Akkumulationsstrategie eines jeden Staates spiegeln sich in der ungleichen Entwicklung und der Bildung einer sich ständig verändernden Hierarchie kapitalistischer Staaten wider: der Bildung eines kapitalistischen „Zentrums“ und einer kapitalistischen „Peripherie“.11 In diesem Sinne ist jeder Staat imperialistisch, denn das Wesen des Imperialismus ist nicht das Monopolkapital, sondern der Wettbewerbsprozess der Reproduktion des Gesamtkapitals. Abgesehen davon, dass sie falsch ist, führt die Dependenztheorie politisch zur Klassenversöhnung und zur Vertiefung der nationalen Spaltungen innerhalb des globalen Proletariats.12

Wenn wir die Konzepte der „Dependenztheorie“ akzeptieren, haben wir Schwierigkeiten, die Realität zu verstehen. Wir müssten zum Beispiel akzeptieren, dass der Zerfall Jugoslawiens ausschließlich auf den Einfluss ausländischer Mächte zurückzuführen ist und nicht auf die Konfliktdynamik zwischen konkurrierenden Nationalismen und Kapitalisten in den einzelnen Föderalstaaten. Wir müssten akzeptieren, dass alle Kriege, die ausbrechen, zwischen Marionettenstaaten stattfinden, hinter denen immer Großmächte und deren Interessen stehen. Dass die Revolten in den Entwicklungsländern angezettelt werden, ohne dass die Arbeiter, die Einwohner, die herrschenden Klassen der jeweiligen Länder eine Rolle spielen. Der Klassenkampf verschwindet.

Der widersprüchliche Charakter dieser Theorie wird auch deutlich, wenn man die Bemühungen schwacher Länder untersucht, transnationalen ökonomischen Organisationen wie der EU, der Welthandelsorganisation usw. beizutreten, untersucht. Die offensichtliche Schlussfolgerung ist, dass diese Organisationen nicht nur existieren, um den Interessen des Kapitals mächtiger Staaten zu dienen. Ihr Zweck ist das Interesse des Kapitals im Allgemeinen, d. h. das Interesse jeder herrschenden Klasse, ob albanisch oder deutsch, an der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Der Reichtum und die Akkumulation des Kapitals entstehen durch die Ausbeutung der Arbeit und nicht in erster Linie durch die Ausplünderung schwacher Länder.13

Antiimperialismus

Theorien über den Imperialismus haben einen zentralen Platz in den Analysen eines großen Teils der Klassenbewegung eingenommen. Da der Imperialismus die höchste Stufe des Kapitalismus ist, musste auch der antikapitalistische Kampf in einen antiimperialistischen umgewandelt werden, der allmählich zu einer zentralen Ideologie (im Sinne von falschem Bewusstsein) wurde.

Anstatt die Klassengegensätze innerhalb der Gesellschaften aufzudecken, wird die Nation gegen die bösen Imperialisten aufgehetzt. In der Regel beschränkt sich die antiimperialistische Politik darauf, das Großkapital oder die multinationalen Konzerne der großen kapitalistischen Länder zu bekämpfen und den einheimischen kleinen oder großen Bossen, die sie als Außenseiter einstuft, ein Alibi zu geben:

Das Problem ist also nicht mehr, dass der Kapitalismus jeden noch so entlegenen Winkel des Planeten erreicht und jeden Bereich menschlicher Aktivitäten erstickt hat, indem er alles, was er berührt, in eine Ware verwandelt. Das Problem für Antiimperialisten ist, dass die kapitalistische Expansion ungleichmäßig und asymmetrisch verläuft, dass sich der Kapitalismus in einigen mächtigen Staaten etabliert hat, während er in anderen – den abhängigen – erdrosselt wird und sich nicht ausreichend entwickeln kann. Wir können nur erstaunt ausrufen: Na und? Gibt es in den „abhängigen“ Ländern nicht immer noch Waren und Lohnarbeit; ist es dort nicht genauso wie in den „imperialistischen Mächten“ so, dass die einen die Produktionsmittel besitzen und die anderen nur ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen haben, dass die einen befehlen und die anderen gehorchen müssen? Herrschen dort nicht dieselben Ausbeutungsverhältnisse, möglicherweise sogar in einer noch härteren Form? Herrscht nicht derselbe Warenfetischismus, wie er auch in den entwickelten Ländern vorherrscht? Oder haben die Menschen dort die Kontrolle über ihr Leben gewonnen und niemand hat sich die Mühe gemacht, uns darüber zu informieren?14

Die Opposition gegen den Antiimperialismus läuft parallel zur Opposition gegen den Nationalismus, denn die antiimperialistische Ideologie fungiert als Mittel, um die nationale Ideologie in die radikalen Bewegungen einzuschreiben, die die Emanzipation der Menschen von allen Arten der Unterdrückung fordern. Die antiimperialistischen und nationalen Befreiungsbewegungen sind die wichtigsten Mechanismen, um die Forderungen und Bestrebungen nach sozialem Wandel, Freiheit, Emanzipation und Kommunismus dem Kapital und seinem Staat unterzuordnen und sie folglich durch ihre Entfremdung und ihre Umwandlung in Bewegungen, die Rechte gegenüber dem kapitalistischen Staat und alle Arten von Identitätspolitik einfordern, zu neutralisieren und effektiv zu beseitigen.15

Kapitalistischer Krieg bedeutet sozialer Frieden

„Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecken feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel … Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen … Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.“16 Und so schickte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das deutsche Proletariat 1914 in das Massaker des Ersten Weltkriegs.

Wenige Tage zuvor ermordet ein französischer Nationalist Jean Jaurès, einen pazifistischen, antimilitaristischen Anführer der Sozialistischen Partei Frankreichs, der versuchte, einen deutsch-französischen Generalstreik gegen den kommenden Krieg und einen französischen Generalstreik für den Fall einer Kriegserklärung Frankreichs zu organisieren. In der Trauerrede des Anführers der Confédération générale du travail (CGT) (A.d.Ü., Allgemeinen Gewerkschaftsbundes), Léon Jouhaux, der gegen die Erklärung eines Streiks und für die Teilnahme am Krieg war, sagte er unter anderem: „Vor diesem Sarg schreie ich unseren Hass auf den Imperialismus und den groben Militarismus heraus, die dieses schreckliche Verbrechen provoziert haben… Alle Werktätigen… wir ziehen mit der Entschlossenheit ins Feld, den Aggressor zurückzudrängen. „17 Da Jaurès und der Einfluss, den er inmitten eines nationalistischen Aufruhrs hätte ausüben können, verschwunden waren, beschlossen die Sozialisten im Parlament, alle Aktivitäten einzustellen, die die nationale Kriegsmaschinerie sabotieren könnten, und schickten das französische Proletariat mit ihrem Segen in das Gemetzel des Ersten Weltkriegs.

Interessant ist, dass sowohl in Deutschland als auch in Frankreich die Anführer der organisierten Arbeiterklasse die „Invasion“ beschworen, um vor der Bourgeoisie ihres Landes zu kapitulieren. Denselben Appell richtet die Bourgeoisie aber auch immer dann, wenn sie im Rahmen eines militärischen Konflikts die nationale Einheit erzwingen will. Der nationale Krieg wird immer als Verteidigungsmaßnahme gegen die Invasoren dargestellt, egal welche Form sie annehmen. Und für einen siegreichen Krieg muss der soziale Frieden herrschen.

In Deutschland hieß dieser Pakt der Klassenzusammenarbeit während des Ersten Weltkriegs Burgfrieden, während er in Frankreich Union Sacrée genannt wurde. In beiden Fällen erklärten die Gewerkschaften/Syndikate und die sozialdemokratischen Parteien einen Waffenstillstand zur Verteidigung des Vaterlandes und verpflichteten sich, bis zum Ende des Krieges keine Arbeitskämpfe zu führen und keine Forderungen der Arbeiterklasse zu stellen. Dies ging natürlich mit dem Kriegsrecht und einer strengen Zensur einher, denn jede Kritik an der Regierung, dem Krieg oder dem Pakt der Klassenkollaboration selbst wurde unter Androhung von Waffengewalt strengstens untersagt. In diesem Zusammenhang wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von 1916 bis zum Ende des Krieges inhaftiert.

Propagandakarte für die Union Sacrée in Frankreich.

Den gleichen Weg der Klassenkollaboration beschritten die meisten sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften/Syndikate der am Krieg beteiligten Länder. Ausnahmen waren die Bolschewiki, die Sozialistische Partei Italiens18, die Sozialistische Partei Serbiens, die Sozialistische Partei Bulgariens, die Sozialistische Partei der USA, die von Luxemburg, Liebknecht, Clara Zetkin und Franz Mering gegründete Internationale Gruppe und die multiethnische Arbeiterorganisation Federación de Thessaloniki. Zu dieser Zeit gab es in Griechenland noch keine sozialistische Partei. Die Sozialistische Arbeiterpartei Griechenlands wurde 1918 gegründet und 1924 in Kommunistische Partei Griechenlands umbenannt. Sie war seit 1911 der osmanische Teil der Zweiten Internationale und vertrat bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine internationalistische, kriegsgegnerische Position.

In jedem Fall brach die Zweite Internationale zusammen. Das bedeutete, dass Millionen von Proletariern von ihren eigenen Organisationen, die eigentlich ihre Klasseninteressen vertreten sollten, dazu gedrängt wurden, zur Beute für die Kanonen der Kapitalisten zu werden: 10 Millionen tote Soldaten und 20 Millionen Verwundete, von denen die Hälfte lebenslang verkrüppelt war; 10 Millionen Zivilisten, die durch Bombardierungen, Hunger und Krankheiten starben. Ein riesiges Schlachthaus von Menschen…

Offensichtlich war die Zweite Internationale keine einheitliche Organisation. Es gab einen rechten Flügel mit Vertretern wie Ebert (der später Bundespräsident wurde, als Luxemburg und Liebknecht ermordet wurden), die Mitte mit Reformisten wie Kautsky und den revolutionären linken Flügel mit führenden Persönlichkeiten wie Luxemburg und Lenin. Nur diese linke Tendenz bewahrte den proletarischen Internationalismus, der die gesamte Zweite Internationale inspirieren sollte. Alle anderen schlossen sich dem Kampf an der Seite der Bosse an, um jede proletarische Bindung zu brechen, die die imperialistischen Pläne der Bourgeoisie gefährden könnte (getarnt als „defensive Haltung“). Natürlich könnte man sagen, dass dies für sie nicht unerwartet war. Klassenkollaboration war wahrscheinlich ohnehin Teil ihres reformistischen Programms.

Aber abgesehen davon gab es in der Zweiten Internationale selbst eine Position, die früher oder später jeden Anspruch auf proletarischen Internationalismus torpedieren würde. Wie wir oben in dem Zitat der deutschen Sozialdemokraten gesehen haben, argumentierte der Teil der Internationale, der in den kapitalistischen Krieg eingetreten war, dass er gegen keines der Prinzipien der Internationale verstoße, da er das Recht der Völker auf nationale Unabhängigkeit und Selbstverteidigung verteidige. Daher das ständige Gerede von der „Invasion“, sogar von den Deutschen, obwohl es Deutschland war, das formell in Frankreich einmarschiert war.

Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts unterstützte die organisierte Arbeiterbewegung die nationalen Befreiungsbewegungen, zum einen, weil sie als modernisierende Kraft angesehen wurden, in dem Sinne, dass sie die Entwicklung des Kapitalismus als notwendige Etappe für den Sozialismus förderten, und zum anderen, weil sie zwar bourgeoise Charakterzüge hatten, aber große Teile des Proletariats einschlossen, die potenziell eine sozialistische Perspektive schaffen konnten, indem sie den Zusammenbruch des Kapitalismus beschleunigten. Ein solches Beispiel war die nationale Befreiungsbewegung Polens (Polen war zwischen dem deutschen, österreichisch-ungarischen und russischen Imperium aufgeteilt), die zur Spaltung der Polnischen Sozialistischen Partei (1894) zwischen dem patriotischen rechten und dem linken internationalistischen Flügel führte. Ähnlich wie 1914 war der Anführer der proletarisch-internationalistischen Tendenz Rosa Luxemburg, die gemeinsam mit ihren Genossinnen und Genossen für die Klassensolidarität zwischen polnischen und russischen Arbeitern, die sozialistische Perspektive und den universellen Kampf gegen den Kapitalismus warb und davor warnte, die Klassenfrage unter der nationalen zu begraben, denn schließlich lag die nationale Unabhängigkeit Polens in niemandes Interesse, außer dem der Bourgeoisie. Aufgrund dieser konsequenten proletarischen Position wurden sie innerhalb der Zweiten Internationale vom rechten patriotischen Flügel der polnischen Partei als „Polizeiagenten“ und als „ruchlose Bande“ verunglimpft!

Mehr als ein Jahrhundert nach diesen Ereignissen und nach dem Ersten Weltkrieg besteht kein Zweifel daran, dass nationale Befreiungsbewegungen und nationale Kriege nicht nur nicht den proletarischen Interessen dienen, sondern sie sogar vernichten, da das Proletariat de facto mit der Bourgeoisie verbündet ist, entweder mit dem Ziel, einen neuen „unabhängigen“ Nationalstaat zu errichten oder einen bestehenden „unabhängigen“ Nationalstaat zu verteidigen. Der Begriff „unabhängig“ steht in Anführungszeichen, denn im Kontext der kapitalistischen innerimperialistischen Antagonismen ist jede Nation-Staat an die Wagenräder der einen oder anderen stärkeren imperialistischen Macht gebunden. So können die USA zum Beispiel eine nationale Befreiungsbewegung, die ihren eigenen Interessen entspricht, vehement unterstützen und eine andere, die von Russland unterstützt wird, heftig bekämpfen und umgekehrt.

Die Entstehung von Nationen-Staaten ist eine relativ neue Episode der Geschichte im Zuge des Aufstiegs des Kapitalismus.19 Wir könnten sagen, dass die Verflechtung der Nationen-Staaten der modernen Welt und die Antagonismen zwischen ihnen eine Form der Existenz des gesamten sozialen Kapitals ist. Jede aktive Beteiligung des Proletariats an diesen nationalistischen Antagonismen reproduziert lediglich seine Position als ausgebeutete Klasse unter der Herrschaft des Kapitals. Kein Proletarier ist jemals durch einen nationalen Befreiungskrieg emanzipiert worden; im Gegenteil, jeder nationale Befreiungskrieg hat den Weg für die Konsolidierung einer neuen bourgeoisen Elite mit nationalen Merkmalen und einem kapitalistischen Programm geebnet (auch wenn es in ihren Reihen „Revolutionäre“ und „Helden“ der nationalen Befreiungsbewegung gab). Daher würde die Selbstemanzipation des Proletariats die Beseitigung jedes nationalistischen Elements erfordern, alles, was es an ein „Heimatland“ zu binden scheint, d.h. es müsste sich gegen seine Ausbeuter, die gegenwärtigen und die aufstrebenden, wenden und den nationalen Befreiungskrieg sofort in einen Klassenkrieg umwandeln. Er müsste den sozialen Frieden, der eine unverzichtbare Ergänzung zum kapitalistischen Krieg ist, in Schutt und Asche legen.

Die militaristischen A’s im Kreis

Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine dauerte es nicht lange, bis einige Texte ukrainischer Anarchistinnen und Anarchisten erschienen, in denen sie erklärten, dass sie zu den Waffen gegriffen hätten, um die Ukraine und das ukrainische Volk gegen Russland zu verteidigen, das „einen langfristigen Plan hat, die Demokratie in Europa zu zerstören.“ Sie riefen die Menschen sogar dazu auf, sie finanziell zu unterstützen, ihnen Waffen zu schicken (!) und sich der von Zelensky selbst gegründeten „Internationalen Legion der Territorialen Verteidigung“ gegen den russischen Imperialismus anzuschließen. In Wirklichkeit handelt es sich um eine reguläre Militäreinheit, die wie alle anderen vollständig in die nationale Armee der Ukraine im Rahmen der Territorialen Verteidigung des Landes integriert ist. Diese Propagandatexte, begleitet von den notwendigen heroischen Fotos einiger schwer bewaffneter Männer, die anarchistische Fahnen schwenken, verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in allen westlichen Mediennetzwerken, sowohl im Mainstream als auch im Umfeld der antagonistischen Bewegung. Das ist natürlich zu erwarten: alles, was den Nationalismus fördert, auch wenn es von Anarchistinnen und Anarchisten kommt, alles, was dazu aufruft, sich einer der beiden Seiten in einem nationalen Krieg anzuschließen, ist für das Kapital und seinen Staat nicht nur legitim, sondern die einzig akzeptable Position.

Aber was ist in der Ukraine passiert, während diese Anarchistinnen und Anarchisten an der Seite der nationalen Streitkräfte der Ukraine gekämpft haben, um „unser aller Freiheit zu verteidigen“? Zunächst einmal wurde das Kriegsrecht ausgerufen: das bedeutet, dass die Gesetze zum Schutz der Arbeiter, Arbeiterinnen und ihrer Vertretung durch die Gewerkschaften/Syndikate weitgehend außer Kraft gesetzt wurden, was Massenentlassungen und Arbeitsunterbrechungen, die Verlängerung des Arbeitstages von vierzig auf sechzig Stunden, die einseitige Kündigung von Tarifverträgen durch die Bosse, die Nichtzahlung von Löhnen, die obligatorische Änderung des Arbeitsgegenstandes entsprechend den militärischen Bedürfnissen des Staates, die Kürzung von Feiertagen usw. ermöglicht. In diesem Zusammenhang haben Hunderte von Unternehmen in der Ukraine die Tarifverträge, die bis zum Ausbruch des Krieges in Kraft waren, einseitig ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt, insbesondere die Klauseln über Gewerkschafts-, Syndikatsaktivitäten, Sozialleistungen, Sicherheitsbedingungen und Arbeitszeiten. Zu diesen Unternehmen gehören ArcelorMittal, das größte Stahlwerk des Landes, das Kernkraftwerk Tschernobyl, die Nationale Eisenbahngesellschaft der Ukraine, der Hafen von Odessa und die Kiewer U-Bahn. Unter dem Kriegsrecht sind auch Streiks und Demonstrationen verboten und allen Männern zwischen 18 und 60 Jahren ist es untersagt, das Land zu verlassen.

Die kriegsbedingte Zerstörung von konstantem und variablem Kapital wird also von günstigen Regelungen für die Bosse in den Betrieben begleitet. Es ist kein Zufall, dass die Regierung Zelensky mitten im Krieg ein Gesetz zur Verabschiedung ins Parlament einbrachte, das die vollständige Deregulierung der Arbeitsbeziehungen vorsah. Damals war das Gesetz wegen der Reaktionen der Gewerkschaften/Syndikate und der Opposition nicht verabschiedet worden. Doch nun hat die ukrainische Regierung die verschiedenen Hindernisse, wie die Verhandlungsmacht der Arbeiter oder die Existenz der Opposition, aus dem Weg geräumt und es geschafft, den sozialen Frieden durch den Krieg zu erzwingen. Das oben erwähnte Gesetz, das in den allgemeinen ideologischen Rahmen der „Entsowjetisierung“ eingebettet ist, wurde im Sommer 2022 in einem schnellen parlamentarischen Verfahren verabschiedet. Der zentrale Kern dieses Angriffs auf das ukrainische Proletariat besteht darin, dass Arbeiter in kleinen und mittleren Betrieben mit bis zu 250 Beschäftigten nicht mehr von Tarifverträgen erfasst werden, sondern individuelle Verträge mit den jeweiligen Kapitalisten abschließen, ohne dass sie einen Schutz durch die Arbeitsgesetzgebung genießen. Das bedeutet, dass über 70 Prozent der ukrainischen Arbeitskräfte Einzelverträge haben werden, eine Entwicklung, die letztlich zur völligen Entwertung der Arbeitskraft des größten Teils des Proletariats des Landes führen wird. Das Einzige, was diesen Prozess aufhalten könnte, wäre eine massenhafte Rebellion gegen das Kriegsrecht, d.h. die Störung des sozialen Friedens, die von den nationalistischen Anarchisten und Anarchistinnen wahrscheinlich abgelehnt werden würde, denn wenn sie ein solches Ereignis angestrebt hätten, wären sie weder freiwillig in die ukrainische Armee eingetreten noch hätten sie diese Position propagiert. Wie sehr sie sich auch auf Kropotkin20 oder Bakunin (oder sogar Makhno!) berufen mögen, ihre aktive Teilnahme am kapitalistischen Krieg richtet sich direkt gegen proletarische Interessen.

Auf der anderen Seite stehen die westlichen linken Unterstützer von Putin, die den russischen Einmarsch in der Ukraine befürworten. Mit der reaktionären Ideologie des Antiamerikanismus und dem Anti-Nato-Narrativ als Vehikel verteidigen sie die militärischen Operationen und den Nationalismus Russlands, einer kapitalistischen nationalen Formation, die wie jede andere solche Formation ihre Existenz und Reproduktion auf die Ausbeutung des größten Teils ihrer Bevölkerung stützt: des Proletariats. Sie sind so verabscheuungswürdige Feinde der proletarischen Bewegung, dass sie sich sogar gegen den jüngsten Aufstand im Iran nach der Ermordung von Mahsa Amini durch die Polizei gewandt und behauptet haben, er sei von den Amerikanern angezettelt worden. Sie unterstützen aktiv jeden Schlächter, der sich gegen proletarische Interessen wendet, genau wie die oben erwähnten ukrainischen Anarchistinnen und Anarchisten, solange er/sie als antiamerikanisch eingestuft wird. Ihre angebliche Sorge als Linke um die Arbeiterklasse ist schlichtweg eine Lüge, denn sie unterstützen offen die Auslöschung ihrer Macht und ihrer eigenen Existenz – als einer der beiden antagonistischen Pole innerhalb des Kapitalismus und als variables Kapital – durch ihr aktives Engagement in den innerimperialistischen Kriegen.

Im Schlachthaus des kapitalistischen Krieges sind wir immer auf der Seite der Deserteure

„Wir wollen nicht weglaufen“, sagen die ukrainischen Anarchistinnen und Anarchisten, die sich der Territorialen Verteidigung des Landes angeschlossen haben. Gleichzeitig sind nach offiziellen Angaben seit Beginn des Krieges etwa 7 Millionen Menschen aus dem Land geflohen. Meistens Frauen und Kinder, denn Männern ist es verboten, das Land zu verlassen. Die Tatsache, dass der Staat das Kriegsrecht mit Ausreiseverbot, Wehrpflicht und ständigen Grenzkontrollen verhängt hat, zeigt eher, dass ein großer Teil der Männer zwischen 18 und 60 Jahren keine Lust hat, in der nationalistischen Kriegsmaschinerie mitzumachen. Viele haben versucht, die Grenze zu überqueren, versteckt in Koffern, Kisten, Truhen und sogar als Frauen verkleidet. Einigen ist es gelungen, andere wurden von den Grenzschützern erwischt und zur Wehrpflicht gezwungen. Auch den Transfrauen gelang es nicht, den Fängen der Kriegsmaschinerie zu entkommen, denn für den Staat und die Armee sind sie Männer und dürfen deshalb das Land nicht verlassen.

Aus proletarisch-internationalistischer Sicht sollten wir die Entscheidung und das Handeln (A.d.Ü., im Sinne einer Aktion) derjenigen Menschen fördern und unterstützen, die sich entweder aus Gründen der Selbsterhaltung oder aus politischen Gründen weigern, sich für das „Vaterland“ zu opfern und sich dem nationalen Kriegseinsatz zu entziehen. Wir sollten ihr Beispiel als wahre proletarische Praxis gegen die vorherrschende Ideologie des Militarismus und Nationalismus fördern, die sich sogar hinter den Bildern der roten und schwarzen Flagge versteckt hat.

Solange der Krieg und seine extremen Schrecken andauern, kann die Ideologie der Aufopferung für das „Vaterland“ zerbröckeln und zusammenbrechen und es kann zu Praktiken der Fahnenflucht in beiden Armeen kommen, wie es in den letzten Monaten tatsächlich geschehen ist. In der ukrainischen Armee, die trotz westlicher Unterstützung immer noch schwächer ist als die russische Armee, tritt das Phänomen der Desertion (A.d.Ü., Fahnenflucht) recht öfters vor. In vielen Fällen handelt es sich dabei nicht um Desertionen mit rein internationalistischem Hintergrund, sondern eher um eine Flucht vor einer Armee, die sie unausgebildet und unbewaffnet auf Selbstmordmissionen schickt wie Schafe zur Schlachtbank. Trotzdem sind sie sicherlich ein Riss im Kriegsgetümmel und ein Beispiel für den Widerstand gegen die staatlich-militärische Macht.

Auch in der russischen Armee gibt es Tausende von Soldaten, die sich weigern, an die ukrainische Front zurückzukehren, weil sie behaupten, dass sie zu ihrem Todesurteil geführt werden. Im September 2022 kündigte Putin eine Teilmobilisierung an, die rund 300.000 Reservisten betraf. Diese Ankündigung löste eine riesige Fluchtwelle aus (Schätzungen zufolge haben bis zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes über 300.000 Menschen das Land verlassen), da sie befürchteten, dass die Wehrpflicht verallgemeinert oder die Grenzen geschlossen würden. In vielen Regionen Russlands ist es zu Demonstrationen gegen die Mobilisierung gekommen, die von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden. Außerdem gab es mehrere Angriffe auf Rekrutierungsbüros (seit Beginn des Krieges werden in Russland regelmäßig Rekrutierungsbüros niedergebrannt). Drei Tage nach der Ausrufung der Mobilmachung unterzeichnete Putin eine Gesetzesänderung, die eine zehnjährige Haftstrafe für Deserteure vorsieht.

Die Desertion in Kriegszeiten ist einer der radikalsten Akte des Widerstands gegen die nationalistische Ideologie. Aus diesem Grund sind Deserteure in Kriegszeiten seit jeher extremer Gewalt und Repressionen durch den Staat und die Militärbehörden ausgesetzt.

Revolutionärer Defätismus

Revolutionärer Defätismus war die Position der revolutionären Internationalisten im Ersten Weltkrieg, im Gegensatz zu jenem Teil der Zweiten Internationale, der sich für eine aktive Teilnahme am Schlachthaus entschied. Seitdem ist der revolutionäre Defätismus die Grundhaltung aller kommunistischen und anarchistischen Internationalisten, die sich dem kapitalistischen Krieg stellen.

Revolutionärer Defätismus ist nicht gleichbedeutend mit Pazifismus. Er bedeutet die Umwandlung des nationalen Krieges in einen Klassenkrieg, d. h. die Untergrabung des sozialen Friedens, den die Bourgeoisie mit Gewalt durchzusetzen versucht, um ihren Krieg erfolgreich zu führen. Es bedeutet Klassenkampf gegen unsere eigene Bourgeoisie und Solidarität mit den Proletariern anderer Länder, die ebenfalls ihren eigenen Kampf gegen ihre eigene Bourgeoisie entwickeln. Wir kämpfen gegen unsere eigene Bourgeoisie nicht, damit sie vom mächtigsten Staat besiegt wird, d.h. dem Staat, der sein eigenes Proletariat besser disziplinieren kann, sondern um die Interessen der Bourgeoisie insgesamt zu besiegen, wie sie auch im nationalen Krieg zum Ausdruck kommen. Revolutionärer Defätismus ist die aktive Mobilisierung gegen die Zwangseinberufung, die Unterstützung von Deserteuren, die Unterstützung der Kämpfe in den Betrieben gegen Lohnkürzungen, gegen die Erhöhung der Arbeitszeiten oder die Auferlegung von Zwangsarbeit wegen des Krieges. Revolutionärer Defätismus ist die Sabotage der Kriegsindustrie, die Verbreitung internationalistischer Propaganda an die Soldaten aller gegnerischen Lager, die Zusammenarbeit und praktische Solidarität mit den Proletariern aller beteiligten Länder und die Verbreitung von Kämpfen, die Enteignung von Gütern zur Befriedigung proletarischer Bedürfnisse und jede andere Aktion, die zu unserem Ziel beitragen kann, das nichts anderes ist als die Entwicklung der revolutionären Bewegung gegen die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse, die die gegenseitige Abschlachtung der Proletarier im Krieg beinhalten.

Revolutionärer Defätismus bedeutet für uns hier und heute, mit dem andauernden Krieg in der Ukraine, dass wir die Klassenkämpfe dort, wo wir uns befinden, intensivieren müssen, vor allem wenn die Staaten, in denen wir uns aufhalten, aktiv in den militärischen Konflikt verwickelt sind und die Auswirkungen des Krieges auf unsere Klasse bereits verheerend sind. Dabei geht es natürlich nicht darum, die eine oder andere Seite zu unterstützen – das ist die Aufgabe aller Arten von Nationalisten, seien es Anarchisten, Linke oder Rechte. Sondern im Gegenteil, um genau den vorherrschenden nationalistischen Monolog zu unterbrechen und das durchzusetzen, was die Interessen unserer Klasse schon immer bestimmt hat: den Kampf des Lebens gegen den Tod.

3. November 2022


1Hobson war auch offen rassistisch und ein Verfechter der Eugenik zur schrittweisen Eliminierung „degenerierter oder unproduktiver Rassen“. Er schlug Beschränkungen für die Auswanderung einer großen Zahl von Juden aus dem Russischen Imperium nach Westeuropa vor, da dies den Interessen der dortigen Arbeiter schade, und war offen antisemitisch, indem er jüdische Bankiers als Parasiten darstellte, die die britische Regierung manipulierten.︎

2R. Hilferding, Finance Capital, Routledge, 1981, S. 301 und 326.︎

3R. Hilferding, „Der Funktionswechsel des Schutzzolles“, Die Neue Zeit, Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, 21. Jahrgang 1902-1903, 2. Bd. Nr. 35, S. 280 und J. Milios, D. Sotiropoulos, Imperialism, financial markets, crisis, Nissos, 2011, p. 30 (auf Griechisch).︎

4R. Hilferding, Das Finanzkapital, S. 370.︎

5V.I. Lenin, Imperialism, the Highest Stage of Capitalism, Progress, 1963, p. 265.

6V.I. Lenin, “Imperialism and the Split in Socialism,” Lenin Collected Works vol. 23, Progress Publishers, 1964, p. 105.

7Marcel Stoetzler, “Critical Theory and the Critique of Anti-imperialism,” in Best et al., The Sage Handbook of Frankfurt School Critical Theory, Sage, 2018, p. 1471.

8Neususs, Imperialismus und Weltmarktbewegung des Kapitals, mentioned in Anders Möllander, “Monopoly and socialism in Lenin’s analysis of Imperialism,” Tekla 1, 1977 (auf Schwedisch).

9Ebenda

10Michael Heinrich, An Introduction to the Three Volumes of Karl Marx’s Capital, 2012, p. 215.

11Wir verwenden die Begriffe Zentrum-Peripherie nicht in dem Sinne, wie sie in der Dependenztheorie verwendet werden, sondern lediglich als Bezeichnungen für die verschiedenen Ebenen der kapitalistischen Entwicklung.

12Die Ausarbeitung dieses Abschnitts stammt aus einer Notiz, die einer der Autoren dieses Textes in einer Zeitschrift geschrieben hat, an der er früher beteiligt war.︎

13„Der angeblich durch die imperialistische Politik bedingte Kapitalexport fand tatsächlich statt, aber der größte Teil dieses Kapitalexports ging nicht in Kolonien und abhängige Gebiete, sondern in andere entwickelte kapitalistische Länder, die ebenfalls eine imperialistische Politik verfolgten. Das bedeutet, dass die Ursache für den Kapitalexport nicht allein in der mangelnden Rentabilität in den kapitalistischen Zentren liegen kann, denn das würde bedeuten, dass kein Kapital in andere Zentren exportiert werden konnte. Außerdem war ein solcher Kapitalexport nicht durch die imperialistische Politik des Heimatlandes gesichert.“ Heinrich, op. cit., S. 216.︎

14Yfanet, “There is only one enemy…,” Nation, anti-imperialism and antagonistic movement, Thessaloniki, 2007, p. 45 (auf Griechisch).︎

15Wie Marcus Stoetzler feststellt:

In seinem 1920 für den zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale verfassten „Entwurf zur nationalen und kolonialen Frage“ erklärte Lenin, dass in „In bezug auf die zurückgebliebeneren Staaten und Nationen, in denen feudale oder patriarchalische und patriarchalisch-bäuerliche Verhältnisse überwieg“, „alle kommunistischen Parteien die bürgerlich-demokratische Befreiungsbewegung in diesen Ländern unterstützen“, sondern auch „die Geistlichkeit und sonstige reaktionäre und mittelalterliche Elemente zu bekämpfen“, einschließlich des „Panislamismus und ähnliche Strömungen zu bekämpfen, die die Befreiungsbewegung gegen den europäischen und amerikanischen Imperialismus mit einer Stärkung der Positionen der Khane, der Gutsbesitzer, der Mullahs usw. verknüpfen wollen“. Abgesehen von der mechanischen Auffassung der historischen Entwicklung, die dieser Position zugrunde liegt, setzt sie fälschlicherweise voraus, dass die bourgeoisen Nationalisten in diesen Ländern wirklich gerne Bündnisse mit Geistlichen, Panislamisten und anderen reaktionären Elementen eingehen, um sozialistische Unterstützung zu erhalten. Die Verschiebung hin zur Unterstützung „bürgerlich-demokratischer Befreiungsbewegungen“ fiel mit der „Annäherung der sowjetischen Regierung an bürgerliche Regime (vor allem die Türkei und Persien) zusammen, während militante Kommunisten in diesen Ländern erschossen und inhaftiert wurden“ (Loren Goldner, „’Socialism in One Country‘ Before Stalin, and the Origins of Reactionary ‚Anti-Imperialism‘: The Case of Turkey, 1917-1925“. Critique, 38(4): 631-661).

Eine weitere wichtige Beobachtung von Marcus Stoetzler ist, dass der Antiimperialismus auch Teil der ideologischen Agenda der extremen Rechten war. Die Idee eines Kampfes zwischen „volksnahen“ und „plutokratischen Nationen“ tauchte in den protofaschistischen Milieus in Deutschland, Frankreich und Italien während des Ersten Weltkriegs auf und wurde zu einem Merkmal der Rhetorik von Mussolini und Gregor Strasser und anderen. Wie er feststellt:

Ihr Kampf gegen einen dekadenten „Westen“ wurde von „konservativen Revolutionären“ wie Arthur Moeller van den Bruck und Ernst Niekisch in den 1920er Jahren beschworen; ihr faschistischer Antiimperialismus war „nichts anderes als die ‚außenpolitische Version‘ des faschistischen Antikapitalismus“ (Fringeli, 2016: 42). Auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeers entwickelte sich der moderne Islamismus einschließlich seiner dschihadistischen Ableger parallel zu den gleichen Impulsen der „konservativen Revolution“ und ließ sich von ihnen inspirieren, einschließlich der ultrakonservativen Version des Widerstands gegen den „Kulturimperialismus“, d. h. die liberale Modernität. Als nach der Auflösung der Sowjetunion die bourgeoisen nationalistischen Regime des Nahen Ostens zerfielen, die – mit sowjetischer Unterstützung – eine antiimperialistische Ideologie mit dem Anspruch auf eine Form des Sozialismus verbunden hatten, wurde der Panislamismus, vor dem Lenin gewarnt hatte, schließlich zu einem bedeutenden Phänomen. Die deutsche „konservative Revolution“ und faschistische Ideen beeinflussten die Entwicklung des antiimperialistischen Denkens auch in Bolivien in den 1930er und 1940er Jahren und verbreiteten sich von dort aus in andere lateinamerikanische Länder (Goldner, 2016: Kapitel 4). Um 1935 hatten die Anführer der Sowjetunion erkannt, dass die Unterstützung des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ in den meisten Fällen eher den Faschisten als ihnen selbst half, weshalb sie den Begriff fast zwei Jahrzehnte lang aufgaben. In den 1950er Jahren kehrte er zurück und dominierte die sowjetische Außenpolitik.

Op. cit., S. 1472.︎

16Zitiert in Rosa Luxemburg, Die Junius Broschüre, Kapitel II.︎

17Der erste Teil der Passage wird in der International Encyclopedia of the First World War im Eintrag über die „Union sacrée“ zitiert. Der zweite Teil wird im Wikipedia-Eintrag über Jean Jaurès zitiert.︎

18A.d.Ü., hier müsste gesagt werden das die PSI eher eine neutrale Haltung hielt, sie waren nicht für den Krieg, aber nicht explizit dagegen.

19Laut Fredy Perlman wurde der Nationalismus an sich am Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit zwei Ereignissen begründet, die die Ankunft des Nation-Staates signalisierten: die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten im Jahr 1776 und die Französische Revolution im Jahr 1789. F. Perlman, The Continuing Appeal of Nationalism, Black and Red Books, 1985.︎

20Im Ersten Weltkrieg unterstützte Kropotkin die Entente, das Bündnis zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland, gegen die Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien und vertrat die Ansicht, dass jeder Versuch Deutschlands, in Westeuropa einzumarschieren, zerschlagen werden sollte. In diesem Zusammenhang sprach er sich für eine aktive Teilnahme am Krieg aus, ganz im Gegensatz zu den kriegsgegnerischen und antimilitaristischen Positionen des größten Teils der anarchistischen Bewegung zu dieser Zeit.︎